Vom Abgang

Unlängst trafen wir uns beim Wirten zur Erörterung der Lage. Klarerweise kam die Rede auch auf Jörg Haider und seinen unerwarteten Abgang. Im Zentrum unseres Gesprächs stand nicht Haider als Politiker, der immer ein „rechter Arsch“ gewesen war, „auch wenn er es zuletzt verstand, den Mantel des Staatsmannes darüber zu breiten„, wie B. im Nachhinein schriftlich dokumentiert wissen wollte, sondern der blitzartige Tod eines Menschen, der einem über 20 Jahre verdammt nahe gekommen war – auf Grund der politischen Differenz, die man zu ihm aufgebaut hat. Eine politische Differenz, die man aufbauen musste, konnte Haider doch nur deshalb der charismatische Popstar unter den Politikern sein, dem die Massen zuströmten, weil die niederträchtige Hetze gegen bestimmte Gruppen von Menschen den Kern seiner Politik bildete. Nur auf Basis der Selektion und Abgrenzung funktionierte sein Modell der Familien-, Benzin-, Heizungs- und sonstigen Schecks, mit denen er die Restmehrheit umarmen konnte. Nichts anderes meint die euphemistische Rede, „er habe polarisiert„. Haider hat sich rassistischer und antisemitischer Argumentationsmuster bedient, er und seine Partei(en) sind gegen politische Gegner und in Ungnade gefallene Parteifreunde mit eiserner Härte vorgegangen. Er hat das politische Klima in diesem Land nachhaltig vergiftet.

Unzählige Nachrufe und Kommentare sind seit seinem Unfalltod erscheinen, manche kluge, manche blöde, aber jener von Robert Menasse, der unter dem Titel Jörg Haider, der unerkannte Austrofaschist in der Presse erscheinen ist, ragt deshalb heraus, weil er insbesondere die Gründe für das Scheitern der Kritik an Jörg Haider präzise benennt und en passant auch Erklärungen dafür liefert, warum die Bevölkerung eines ganzen Bundeslandes nach dem Ableben „ihres“ Landeshauptmannes in einem kollektiven Trauerwahn zu versinken droht – und warum auch mich der Tod eines Rechtsextremisten nicht kalt lässt.

Man sollte den Essay zur Gänze lesen. Die vorgenommene Auswahl entspringt einem rein persönlichen Interesse: Der Reflexion eigener politischer Positionen und Haltungen, die ich im Verlauf der letzten 20 Jahre zu Jörg Haider eingenommen habe.

Sozialdemokraten und Grüne machten zwei verheerende Fehler. Sie witterten zwar Faschismus, konnten ihn aber nicht verstehen. Sie konnten nur die Nähe Haiders zu NS-Gedankengut identifizieren, Bewusstseinsreste aus der Prägung durch sein Elternhaus, aber nicht, in welche wirkliche und wirksame Nähe er schon längst gelangt war. Es wurde zum Selbstläufer, bei jeder Gelegenheit warnend „Nazi! Nazi!“ zu rufen, was aber keinem seiner Wähler zu denken gab und zum Umdenken bewegen konnte. Denn sie waren keine Nazis, sahen sich mit einigem Recht nicht als Nazis, konnten nicht verstehen, dass Haider und sie als seine Wähler Nazis sein sollten – sie waren doch nur „Patrioten“, rabiate, aber nach bisherigem Konsens unschuldige „Patrioten“.

Ihr zweiter Fehler war, nicht den Unterschied zwischen Kritik und der Konsequenz, die man daraus zieht, zu begreifen. Vieles, das Haider brachial kritisierte, war tatsächlich kritikwürdig. Keiner kann politisch Erfolg haben, der nicht die Themen anspricht, die die Menschen bewegen, der nicht gegen eine Situation ankämpft oder anzukämpfen scheint, unter der viele leiden oder die ihnen zumindest auf die Nerven geht. Die Frage, die den Unterschied zwischen Parteien ausmacht, ist doch, welche Konsequenzen man aus der Kritik zieht, welche Lösungsvorschläge man hat.

Haiders Talent bestand darin, vieles zu Recht in Frage zu stellen, und dann glaubwürdig zu sein, auch wenn er falsche Antworten gab. Aber es wurde für alle, die Haiders Gesinnung ablehnten, zur Selbstverständlichkeit, zum Automatismus, schon seine Kritik zu kritisieren und zurückzuweisen, so als erwiese sich Antifaschismus bereits darin, verbissen zu verteidigen, was ein Faschist kritisiert, statt selbst vernünftigere Lösungsvorschläge anzubieten. Jahrzehntelang hatte die linke Intelligenz zum Beispiel die österreichische Nebenregierung durch die Sozialpartner kritisiert, als jedoch Jörg Haider die Sozialpartnerschaft frontal angriff, begannen die Linksintellektuellen sie reflexhaft zu verteidigen.

Das produzierte Schizophrenien, in denen sachliche Diskussionen nicht mehr möglich waren. Haider bekam Zulauf, weil er kritisierte, was viele kritisierten, seine Gegner verloren Zustimmung, weil sie zum Teil wider besseres Wissen eben dies verteidigten. Hätte Haider gesagt, dass zwei Mal zwei vier ist, die Antifaschisten hätten eine neue Mathematik begründet. Hätte er den Kampf gegen den Klimawandel zur Koalitionsbedingung erklärt, die Grünen hätten Braunkohlekraftwerke gefordert.
(…)
Auf diese Weise ist damals in wechselseitigem und gemeinsamem Verschulden mehr an politischer Kultur in Österreich zerstört worden, als zuvor dem Anschein nach aufgebaut worden war. Der Erfolg Haiders und der Misserfolg in der Auseinandersetzung mit ihm haben ein politisches Klima geschaffen, in dem nur noch patriotischer Populismus möglich scheint, und politische Unterschiede nur noch daran festgemacht werden, ob der Populist populär ist oder nicht. Wolfgang Schüssel, der Prototyp des Populisten, der nicht populär ist, ist selbst an diesem Geist, den er rief, gescheitert. Nicht er hat Haider „gebändigt“, wie man heute sieht, er ist vielmehr an der Messlatte Haider, mit der er zu spielen glaubte, als zu klein gemessen worden.

Umgekehrt wurde das politische Denken in Österreich zugleich dadurch verwüstet, dass nun jeder, der politische Ziele formuliert, die auf breite Zustimmung in der Bevölkerung stoßen, sofort als Populist denunziert wird. Das ist jetzt Werner Faymanns Problem. Aber leider nicht nur seines.“

Haider ist tot. Und wir alle müssen mit ihm leben„, mit diesen Worten endet Menasses Kommentar. Und hier noch Anton Pelinka im O-Ton, der vor der Mythenbildung warnt, die von Haiders Epigonen mit Hochdruck befördert wird: Wen wunderts, sie wissen schließlich, dass sie nur dann politisch überleben werden, wenn der Nimbus des Landesfürsten weiterhin über Kärnten strahlt.

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