Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in Großstädten hat in der Regel den Vorteil, dass man relativ rasch von einem Ort an einen anderen gelangt, insbesondere zu Stoßzeiten.
Nun kann es bisweilen vorkommen, und gestern war wieder einmal so ein Tag, dass technische Störungen ein Weiterfahren verhindern und einen ungewollten Aufenthalt im U-Bahntunnelnetz erzwingen. Dies wäre an sich nicht weiter störend, würde der Fahrer die Reisenden über den Grund des ungewollten Tunnelaufenthaltes informieren, etwa mit einer kurzen, mit beruhigender Stimme vorgetragenen Lautsprecheransage, Meine Damen und Herren, auf Grund einer technischen Störung kommt es zu einem kurzen Aufenthalt. Seien sie nicht beunruhigt, die Fahrt des Zuges wird in Kürze fortgesetzt.
Wenn aber die Stimme des Fahrers nicht zu vernehmen ist, und gestern war wieder einmal so ein Tag, und man somit auch keinerlei Erklärung angeboten bekommt für das kurzfristige Erlöschen der Innenbeleuchtung bei gleichzeitig einsetzenden Hupsignalen, die man trotz jahrelanger U-Bahnfahrerfahrung bislang noch nie gehört hat, dann kann folgendes Phänomen beobachtet werden: Werden im Normalfall U-Bahnfahrten relativ kommunikationslos verbracht, mutieren derart im Ungewissen gelassene Reisende zu Kommunikationsjunkies. Aber, da der Stadtmensch respektvoll ist, quatscht er eben nicht den fremden, neben ihm stehenden oder sitzenden Zeitgenossen unvermittelt an, sondern begibt sich auf die hektische Suche nach seinem Handy, das er in seiner Mantel,- Hosen- oder Handtasche vermutet, was sich auf Grund des spärlich ausgeleuchteten U-Bahnwagons etwas schwierig gestaltet, um dann, wenn er das Ding endlich gefunden hat, einem abwesenden Vertrauten aufgeregt mitzuteilen, dass er gerade in der U-Bahn feststecke, nicht wisse, was los sei, und nicht sagen könne, wann er nach Hause, ins Büro oder sonst wo hin kommen werde.
Gäbe es diese Handy-Terroristen nicht, würde sich ein besonnener Zeitgenosse in der Regel einen derartigen Vorfall damit erklären, dass die U-Bahn eine kurze technische Störung haben werde, die Informationspolitik der Wiener Linien nach wie vor in den 1970-er Jahren stecken geblieben sei und es ohnehin gleich weiter gehen werde. Da er sich aber von diesen Mutanten umzingelt erkennen muss, verspürt er blitzartig ein Unwohlsein, das sich in null Komma nichts in Beklemmungszustände verwandelt und Angstschweißausdünstungen produziert.
Wäre da nicht im nächsten Moment ein leichtes Rucken des Zuges bemerkbar, welches sich kurz danach als langsame Fahrbewegung einordnen lässt, und in den Gesichtern der Mitreisenden nicht hörbare Seufzer der Erleichterung zeichnet, die ihm zu verstehen geben, gerade noch einmal mit dem Leben davon gekommen zu sein, muss er auch nicht mehr überlegen, ob er das nächste Mal nicht doch lieber mit dem Auto den Weg von A nach B nehmen soll.
Nein, er steigt erleichtert in der nächsten Station aus, um am nächsten Tag, der hoffentlich nicht so ein Tag wird wie der Gestrige, wieder einsteigen zu können.
Es ist interessant zu beobachten, dass die modernen Kommunikationstechniken (Computer, Handy) die Menschen nicht kommunikativer machen; im Gegenteil: es werden zurückgezogene „Nerds“ produziert, die sich in Internetchatrooms selbstsicher und groß fühlen, im realen Leben jedoch niemals so offen und frei mit fremden Personen ins Gespräch kommen. Die Groteske unserer Gesellschaft wird in dem Beispiel mit der Ubahn deutlich. Kaum jemand bzw. keiner traut sich mit der Person gegenüber einen kleinen Wortwechsel zu starten. Das hat nichts mit „Höflichkeit“ oder „Respekt“ zu tun, sondern erfordert „Eier“ und ein komplettes Umdenken und Auseinandersetzen mit den eigenen von Eltern, Medien, etc. eingeimpften Verhaltensmustern und Denkweisen. Die zu bekämpfen ist ein harter Weg, aber selbstbewusst durch die Welt zu gehen und die Freiheit zu haben jederzeit fremde Menschen in ein aufregendes Gespräch zu verwickeln ist eine große Bereicherung – so lernt man ständig interessante Leute, Freunde und hübsche Frauen kennen. Wer seine Ängste überwindet und den Spaß an der sozialen Interaktion gefunden hat, wird süchtig.
Denke, du hast hier einen ganz zentralen punkt angesprochen, Julian, und natürlich hat das nichts mit „Respekt“ zu tun (war ironisch gemeint :-)), wenn man die in der u-bahn stehende reale person nicht anspricht, sondern zum handy greift; wenn du es offenbar geschafft hast, die von diversen gesellschaftlichen kontrollinstanzen (eltern, schule, medien etc.) produzierten und die eigene feigheit und faulheit befördernden mechanismen abzulegen, dann kann ich dir nur aus ganzem herzen gratulieren. erlaube mir nur einen kleiner rat: wiege dich nicht zu früh im glauben, dass du’s für alle zukunft geschafft hast, sondern sei dir stets bewusst, dass es ein täglicher kampf ist den man zu führen hat gegen diese anti-emanzipatorischen und „bleib-bloß-klein-brav-angepasst“-muster.
in diesem sinne: keep on keeping on :-)))