»Ich, Sohn des Zeus, Dionysos, einst von Semele empfangen,
Kadmos‘ Tochter, deren Schoß der Strahl des Blitzes löste,
komme her ins Theberland …«
Der griechische Gott Dionysos (bei den Römern hieß er Bacchus) kehrt in Menschengestalt in seinen Geburtsort Theben zurück, um sich an seiner Verwandtschaft zu rächen, weil diese Zweifel an seiner Göttlichkeit gesät hatten. Er und seine Anhänger, die Bakchen, zerstören zunächst den Königspalast und morden alsdann den jungen König.
Soweit, in aller Kürze, der Plot von Euripides‘ Die Bakchen, etwa 400 v.Chr. geschrieben.
Dionysos gilt in der griechischen Götterwelt als Gott des Weines, der Freude, der Trauben, der Fruchtbarkeit, des Wahnsinns und der Ekstase. Dionysos steht für das Rauschhafte, für die Triebe, für all das, was wir Menschen immer schon faszinierend und bedrohlich zugleich empfinden, er ist folglich Erlöser und Monster zugleich.
Die Nazis haben in ihrem »Willen zur Macht« das »Dionysische« in Stellung gebracht gegen alles, was sie verabscheut haben und aus der Welt schaffen wollten – unter Plünderung des oft widersprüchlichen Schrifttums Friedrich Nietzsches, der etwa in seinem frühen Werk, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, dem rauschhaft-vitalen »Dionysischen« gegenüber dem ästhetisch-meditativen »Apollinischen« den Vorzug gegeben hat.
Eine gewaltige Hydraulikmaschine, die sich in den folgenden zwei Stunden bis zur Pause der Stück-Inszenierung von Ulrich Rasche langsam drehen und rauf und runtergehen wird, füllt die Bühne des Burgtheaters beinahe zur Gänze aus. Auf dieser Maschine, genauer, auf mehreren Laufbändern, schreiten die mit Headsets ausgestatteten Protagonisten gegen die Laufrichtung der Bänder an. Unablässig schreiten sie im immer gleichen Rhythmus, dabei Wörter abgehackt skandierend, Parolen brüllend (»Wir holen uns unser Land zurück«), und da dieses Brüllen gegen permanente Paukenschläge und Geigen Gefiedel anzukämpfen hat, ist mein Versuch, den Text zu verstehen, ein sinnloses Unterfangen. Aber das ist bei dieser Inszenierung ohnehin völlig egal. Denn nach wenigen Minuten, also nach dem Eingangsmonolog des Dionysos, dargebracht von Franz Pätzold, dem aus München mitgereisten Kušej-Starschauspieler, dessen Stimme sich in meinem Hirn sofort festgesetzt hat, den Auftritten seines Widerparts, des Königs von Theben, und der Bakchen, einer kriegerischen 19-köpfigen Chortruppe, ist völlig klar, was der Regisseur dem Publikum sagen will: Seht her, so sind die Rechtsextremen, alles niederbrüllend, gewalttätig und monströs-gefährlich, so sind sie, die Bewegungsführer von Pegida, AfD, FPÖ, Identitären etc. Was für eine bahnbrechende Erkenntnis!
Rasche mache »Maschinentheater«, wie es heißt, er synchronisiere Sprache, Bewegung und Musik und unterwerfe alles einem Rhythmus. Rasche macht Theater mit dem Holzhammer. Wir haben nach der Pause die Flucht ergriffen.