Erregung über Handke

Als der Essay, Gerechtigkeit für Serbien. Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa, in der Süddeutschen Zeitung (in zwei Teilen, am 5./6. und am 13./14. Jänner 1996) erschienen ist, habe ich das nicht wahrgenommen, aber das Erscheinen in Buchform (Februar 1996) blieb mir nicht mehr verborgen und ich habe das Buch dann im Frühling desselben Jahres gelesen, folglich zu einer Zeit, als das Getöse im Feuilleton schon etwas abgeflaut war, wobei dieses, im Vergleich zum Social-Media-Gemeuchle von Heute, beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor sich ging. In meinen Unterlagen findet sich folgender Eintrag von damals (März 1996):

Die Empörung der journalistischen Zunft gegen den Essay von Peter Handke, der eine Reise nach Serbien zum Thema hat, liegt meines Erachtens nach nur zum Teil an den Inhalten, auch wenn die fundamentale Kritik an den »Fernfuchtlern«, wie er die Journalisten bezeichnet, an ihrer Sprache, ihren Bildern und Urteilen über den Jugoslawienkrieg, diese sicherlich nicht entzückte. Ich denke, was diese noch viel stärker in Erregung versetzte, ist die literarische Form, in der Handke seine Kritik »öffentlich« zum Ausdruck bringt, noch dazu im journalistischen Feld, in der Zeitung. Diese poetische Form ermöglicht auch einen anderen Blick auf die mediale Darstellung des Jugoslawienkrieges, der, wie jeder Krieg – jenseits des Schreckens auf den Schlachtfeldern – immer ein Krieg der Bilder ist. Handkes bedächtig vorgetragener, aber beharrlicher Blick ist ein gänzlich unjournalistischer Blick. Seine poetischen Betrachtungen von serbischen (jugoslawischen) Dörfern und Flusslandschaften, seine Beschreibungen von Begegnungen mit Menschen, die er trifft, von der Versorgungslage mit Lebensmitteln und sonstigen Gütern, sind Streifzüge durch die Peripherie, keine Frontbesuche, diese Bilder sind Kontrastbilder zu den medialen Bildern, die in den Zeitungsredaktionen und Fernsehstudios in Wien, Berlin und Paris und sonst wo in Europa fabriziert werden, und diese Bilder kommen, im Gegensatz zu jenen, gänzlich ohne Schuldzuweisungen aus. Handkes »Skandal« besteht darin, dass er den besserwisserischen Welterklärern in der Rolle des Dichters entgegentritt und diese mit scheinbar naiven Fragen konfrontiert. Dass das Ganze zum Furor gegen ihn geworden ist, hängt damit zusammen, dass er sein Entgegentreten immer nur als dichtender Akteur praktiziert, also immerzu auf seinen Text verweist, und sich jedweder Debatte verweigert, weil er diese als zutiefst verlogene (der einzig Schuldige steht längst fest) erkannt hat. Wenn Handke bei der Lesung im Akademietheater mit anschließender Publikumsbeteiligung auf die Äußerung eines Mannes aus dem Publikum, wäre er in Sarajevo gewesen, wäre er wohl »betroffener«, diesem ein »stecken sie sich ihre Betroffenheit in den Arsch« entgegenschleudert, dann manifestiert sich darin nicht nur die trotzige Haltung eines Mannes, dem vorgeworfen wird, in einem Bürgerkrieg Partei für die falsche Seite ergriffen zu haben, sondern auch das Wissen, dass jene, die ihm Parteilichkeit anlasten, von Anbeginn an kein Interesse an Jugoslawien, an den Motiven und Gründen und den Folgen des Krieges hatten und einzig die Serben für das Schlachten verantwortlich machen. Seine Wut auf dieses moralische Heuchlertum ist mehr als nachvollziehbar.

Soweit mein Eintrag aus jenen Tagen der Erregung, erkennbar auch im Erregungszustand zu Papier gebracht.

Jetzt fand ich das Transkript dieses Abends im Akademietheater (18. März 1996), von Konkret Online unter dem schönen Titel Handke und die Arschlöcher ins Netz gestellt (und mittlerweile leider herunter genommen) auf den ich dereinst Bezug genommen habe – da ich nicht dort war, kannte ich nur jene Passagen, die dann im Fernsehen zu sehen waren. So erfahre ich jetzt, was ich auch nicht wusste (wohl vergessen habe), dass es – nach der Lesung aus dem Text Gerechtigkeit für Serbien – ein anschließendes Gespräch zwischen den drei Peters (Turrini, Huemer und eben Handke) und dem Publikum gegeben hat. Handke, das kann man in einem kurzen Ausschnitt in einem YouTube-Video von diesem Abend sehen, geht auf der Theaterbühne hin und her, und er wirkt angesichts der Fragen aus dem Publikum (Warum er nicht nach Bosnien gefahren ist? Nicht nach Sarajewo? Warum nach Serbien?) zunehmend gereizt und angewidert. Grandioser Schluss: Auf den Vorhalt aus dem Publikum, so könne er sich nicht verhalten, er befinde sich doch im »öffentlichen Raum«, antwortet Handke: »So geht das!«

All die achtlos hingeworfenen oder in böswilliger Absicht verbreiteten Unterstellungen (zB Genozidleugner, Geschichtsrevisionist, etc.), die sich seit der Bekanntgabe und rund um die Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke in diversen Kommentaren – von den Infamien in den Social Media Plattformen ganz zu schweigen – in deutschsprachigen und internationalen Medien finden, sollte man am besten mit Nichtbeachtung strafen, und sich darüber freuen, dass es auch andere Stimmen gibt, die zwar nicht so laut sind, aber doch hörbar vernommen werden können (zB der Offene Brief Österreichischer Literaten, in dem diese die »Anti-Handke-Propaganda« verurteilen oder ein großartiger Standard-User-Blog-Kommentar von Ortwin Rosner, der das Grundübel der sogenannten Debatte auf den Punkt bringt: Viele können nicht lesen bzw. wollen offenbar immer nur eine eindeutige Lesart akzeptieren und sind unfähig, Ambivalenzen auszuhalten!) und vor allem Handke im Original (nach)lesen.


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