Seit vielen Jahren gibt es in der Jungle-World die Kolumne Der letzte linke Student, geschrieben von Jörg Sundermeier. Eine Auswahl davon ist bereits 2004 als Taschenbuch erschienen, wie ich soeben festgestellt habe.
Der Titel der Kolumne erinnert mich immer an S., mit dem ich seit Jahren hin und wieder berufsbedingt zu tun habe. Außerhalb des Jobs sehe ich ihn zufällig, ab und zu beim Einkaufen, er wohnt im gleichen Viertel, und dann und wann läuft er mir bei einem Konzert oder beim Wirten über den Weg. Man wechselt ein paar Worte, das war’s dann auch schon.
Kürzlich traf ich ihn wieder, im beruflichen Umfeld, wir rauchten und tranken Kaffee, und irgendwie kamen wir ins Gespräch über die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise. „Die Staatshilfe für die Banken ist ein soziales Verbrechen, weil sie von uns allen zu bezahlen ist“ begann er sein Statement – S. spricht immer nur in Statements, übrigens, in nahezu emotionslos dahin gehauchten Statements -, das er mit der ebenso emotionslos dargebrachten Behauptung „der österreichische Staat wird bankrott gehen – so wie Irland – und wir werden ohne Job und ohne Kohle auf der Straße stehen“ abschloss.
„Jetzt übertreib’ nicht so. Wie kommst Du auf das?“ wollte ich wissen. „Ich habe gestern mit einem Maoisten gesprochen!„, so seine Antwort, die er mit einem sanften Kopfnicken untermauerte.
„Wow, Maoisten gibt’s auch noch?“ bemerkte ich lächelnd – und sagte nichts mehr.
S., Anfang 50 und ein seit vielen Jahren beamteter Staatsdiener, erzählte dann noch, dass mit 1. Jänner sein Sabbatical beginne und er in diesem jobfreien Jahr diverse Seminare machen wolle. Für ein Shiatsu-Seminar und eine Familienaufstellung habe er sich bereits angemeldet. Freilich, er sei sich jetzt nicht mehr so sicher, ob er sich das auch wirklich noch leisten wird können …