9/11 Paranoia im ORF

6536155Rund um den 11. September tauchen die Bilder vom Terroranschlag auf das World Trade Center im Jahre 2001 wieder auf den Bildschirmen der TV-Anstalten auf. Auf YouTube und auf Millionen von Websites (die Google-Suche unter dem Stichwort „9/11“ ergibt zurzeit über 90 Millionen Treffer) sind sie ständig präsent. Abgesehen davon hat sie ohnehin jeder von uns auf seiner Festplatte abgespeichert.

Seit dem Tag des Anschlags grassieren wilde Spekulationen über Hergang und Hintergründe der Massenmorde. Im Wesentlichen stehen sich zwei Erklärungsmuster gegenüber: Auf der einen Seite die Version der Bush-Administration, die im islamistischen Terrornetzwerk al-Qaida des Osama bin Laden die Alleinverantwortlichen für die Anschläge sieht. Diese Version wurde auch im offiziellen Bericht aus dem Jahre 2004 bestätigt. Und auf der anderen eine Fülle von Theorien, die diese Täterschaft anzweifeln und stattdessen eine Konspiration diverser anderer Akteure (z.B. CIA, Mossad, Bush-Cheney usw.) behaupten. (vgl. dazu hier, hier und hier).

Im Grunde sind alle Belege, die von den Verschwörungstheoretikern ins Treffen geführt werden, um die offizielle Version in Zweifel zu ziehen, seit vielen Jahren entkräftet. Was von den Szenarien der Obskuranten aller Fraktionen zu halten ist, hat der linke Publizist Alexander Cockburn bereits in einem Essay, der im Jahre 2006 in der deutschsprachigen Ausgabe der Le Monde diplomatique erschienen ist, wie ich meine, sehr treffend auf den Punkt gebracht:

Ein Hauptkennzeichen der Verschwörungsfans ist ihr inbrünstiger und geradezu grotesker Glaube an die amerikanische Effizienz. Viele von ihnen gehen von der rassistischen Prämisse aus, dass zu einer solchen Tat „Araber in Höhlen“ ohnehin nicht fähig seien. Sie glauben auch, dass militärische Systeme genau so funktionieren, wie es die Pressefritzen des Pentagon und die Verkaufsmanager der Luftfahrtindustrie dem Publikum weismachen wollen. (…) Diese Leute haben offenbar keine Militärgeschichte studiert. Sonst wüssten sie, dass minutiös geplante Operationen – erst recht standardisierte Reaktionen auf einen Notfall – mit schöner Regelmäßigkeit in die Hose gehen, und zwar aufgrund von Dummheit, Feigheit, Bestechlichkeit oder auch nur als Folge eines Wetterwechsels.

Bekanntlich haben sich Spinner noch nie von Tatsachen überzeugen lassen, und dank Internet haben sie auch ein grenzenloses Spielfeld, um ihrer Paranoia erst so richtig freien Lauf zu lassen. Ist weiterhin auch kein Problem.

Dass aber auch Medien, die ernst genommen werden wollen, den Paranoikern einen Sendeplatz einräumen, bewies am Sonntag der ORF, indem er in der Reihe Menschen und Mächte den Dokumentarfilm „Zero: An Investigation Into 9/11“ (Deutscher Titel: „9/11 – Was steckt wirklich dahinter?„) ausgestrahlt hat. In diesem Film kommen neben Augenzeugen, Feuerwehrleuten und Verschwörungstheoretikern wie David Ray Griffin, den Cockburn als „Hohepriester der 9/11-Gemeinde“ bezeichnet, auch bekannte Linke zu Wort, wie der italienische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Dario Fo und der amerikanische Literat Gore Vidal oder der ehemals der politischen Linken zugehörige Journalist und Publizist Jürgen Elsässer, der nunmehr mit der von ihm gegründeten „Volksinitiative“ gegen das „Finanzkapital“ und deren „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ sowie gegen den EU-Vertrag von Lissabon wettert.

Entgegen der reißerischen ORF-Ankündigung, wonach die „penibel recherchierte Doku … zu verblüffenden neuen Thesen und Erkenntnissen (komme), die die damaligen Ereignisse plötzlich in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen„, werden die seit Jahren bekannten Fragen aufgeworfen, Fragen, die sich auch auf der Website des 9-11 Truth Movements unter „Top 40 reasons“ finden. Diese Wahrheitsbewegung versammelt Obskuranten aller politischen Fraktionen und Länder, die sich trotz sonstiger Differenzen in einem einig sind: Im Zweifel an der offiziellen Version der Anschläge vom 9. September 2001 und in der Ansicht, dass die US-Regierung unter Georg W. Bush die Anschläge selbst inszeniert oder bewusst zugelassen habe.

Initiiert und produziert wurde der Film vom ehemaligen Abgeordneten zum Europäischen Parlament Giulietto Chiesa, früher Funktionär der KPI und Journalist, der auch im 9/11 Truth Movement tätig ist. Als Chiesa den Film am 26. Februar 2008 im Europaparlament in Brüssel vorführen ließ, kamen seiner Einladung, die an alle 785 Abgeordneten des Europaparlaments und an rund 1000 Journalisten erging, lediglich sechs Abgeordnete und zwei Journalisten nach. Gegen Paranoiker lässt sich nicht argumentieren, weil sie in allem Belege finden werden, um ihre Thesen zu untermauern. So auch in diesem Fall: Chiesa behauptete allen Ernstes, dass die Amerikaner sowohl der gesamten internationalen Presse als auch 99% aller Abgeordneten schlicht und einfach verboten hätten, den Film zu sehen. (vgl. hier).

Der ORF ist bislang die einzige deutschsprachige TV-Anstalt, die diesen 100 Minuten Film gezeigt hat, was Elsässer mit „Bravo Össis“ kommentierte.

4 Kommentare zu „9/11 Paranoia im ORF

  1. hallo – da du offensichtlich recht versiert bist in dem thema und ich – das geb ich offen zu, mich damit kaum befasst hab – irgendwann allerdings diese „doku“ 9/11 mysteries gesehen hab, würd ich gern deine meinung betr. der darin geäußerten bedenken an den physikalischen „unmöglichkeiten“ des einsturzes erfahren – bzw. weißt du, wo ich da die entsprechenden gegenargumente finde? thx, manfred.
    apropos – falls es dich interessiert – hab da auch mal drüber gebloggt…
    http://bit.ly/eLwhr

  2. also, ich bin kein Physiker; aber ich denke, dass viele Fragen, die auch in deinem Blog-Eintrag angeführt sind, in den Texten, auf die ich in meinem Beitrag verlinkt habe, plausibel beantwortet werden.
    Und das ist mir in diesem Zusammenhang das entscheidende Kriterium: Plausibilität! Denn jede verschwörungstheoretische Annahme – ob es sich nun um die angebliche Sprengung der Türme (es gab neben den beiden großen Türmen auch noch einen dritten Turm, WTC7, der erst Stunden nach dem Zusammenkrachen der beiden großen Türme, eingestürzt ist) handelt oder um den behaupteten Raketeneinschlag ins Pentagon oder um die nicht erfolgten Abschüsse der Flugzeuge – ist meiner Meinung nach deshalb unglaubwürdig, weil sie implizit davon ausgeht, dass es unzählige Beteiligte, Mitwisser und Vertuscher geben muss, die klarerweise allesamt den Mund halten müssten.

    Nun wissen wir, dass die Bush-Administration der Weltöffentlichkeit unglaubliche Lügen aufgetischt hat, etwa um den Krieg gegen den Irak zu legitimieren. Wäre es nicht relativ einfach zu bewerkstelligen gewesen, irgendwo im Irak eine Kiste mit Massenvernichtungswassen zu finden und diese dann der Öffentlichkeit zu präsentieren? Ist bekanntlich nicht passiert!

    Was sich aber hinter den meisten Spekulationen mehr oder weniger offen manifestiert, ist ein dumpfer Antiamerikanismus und oftmals auch Antisemitismus und generell eine höchst selektive Wahrnehmung der Tatsachen: Alle Augenzeugen etc., die den Verschwörungsfreaks nicht in den Kram passen, weil sie ihre Theorien eindeutig widerlegen würden, werden einfach ausgeblendet – was du auch in den von mir verlinkten Texten nachlesen kannst.

    P.S.
    Heute findet ein CLUB 2 zu diesem Thema statt, zu dem auch einer der Verschwörungstheoretiker (Gerhard Wisnewski) geladen ist, was durchaus witzig werden könnte, bezweifelt dieser Mann doch nicht nur die Täterschaft der al-Qaida, sondern er geht auch davon aus, dass die Terroranschläge in der BRD in den 1980-er Jahren nicht von der RAF verübt wurden und dass auch die Mondlandung niemals stattgefunden hat.

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