Michael Sauga, Wirtschaftsredakteur beim Spiegel, erläutert in einem Interview, das ich im Fluter, dem Jugend-Magazin der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (dazu irgendwann einmal mehr) gefunden habe, warum er den deutschen Sozialstaat für höchst ungerecht und dringend reformbedürftig erachtet.
Saugas’ Hauptkritik, die er in seinem Buch mit dem Titel „Wer arbeitet, ist der Dumme. Die Ausbeutung der Mittelschicht„, 2007 im Piper-Verlag erschienen, ausführlich darlegt, richtet sich gegen die unsolidarische Finanzierung:
„Was ich kritisiere, ist, wie dieses System finanziert wird – nämlich nur über die Arbeitnehmer, die Angestellten und Arbeiter. Die Beiträge für die Sozialversicherungen, also die Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung, werden den Arbeitnehmern jeden Monat automatisch vom Lohn abgezogen. Das nennt sich dann Lohnnebenkosten. Jetzt gibt es in Deutschland aber nicht nur Arbeitnehmer. Es gibt noch andere, privilegierte Gruppen, und die müssen diese Beiträge nicht zahlen. Denen wird nichts abgezogen, sondern sie zahlen freiwillig in private Versorgungssysteme ein, die nur ihnen offen stehen und die bessere Leistungen anbieten. Zu dieser Gruppe gehören die Freiberufler und die Selbstständigen, auch die Beamten und ironischerweise auch all die Arbeitnehmer, die gut bis sehr gut verdienen. (…) Im Klartext heißt das: Das Sozialsystem, über das auch die Renten und das Arbeitslosengeld finanziert werden, wird von schlecht bis mittel verdienenden Arbeitnehmern finanziert, während sich alle anderen aus dem System ausklinken können.“ (Hier das ganze Interview)
Die skandinavischen Länder zeigen, das es auch anders geht: Nach dem Prinzip, Alle zahlen in denselben Topf ein und alle bekommen aus demselben Topf wieder heraus, ist dort seit Jahrzehnten eine wesentlich solidarischere, weil alle gesellschaftlichen Gruppen in die Pflicht nehmende Sozialstaatskonzeption etabliert.
Warum dieses Modell – also höhere Steuern bei gleichzeitiger Senkung der Lohnnebenkosten – nicht auch in Deutschland (und in Österreich) umgesetzt wird, hängt für Sauga vor allem damit zusammen, dass sich die politischen Elite in Deutschland in ihrer überwiegenden Mehrheit aus den vom bestehenden System profitierenden Berufsgruppen zusammensetzt: Selbstständige und Freiberufler, öffentlich Bedienstete und gut verdienende Angestellte aus den Interessensvertretungen.
Ein Blick auf die Website des Österreichischen Parlaments, auf der sich auch eine Berufsstatistik der Österreichischen Abgeordneten zum Nationalrat und zum Bundesrat findet, bestätigt diesen Befund auch für Österreich: Von den 183 Abgeordneten zum Nationalrat sind 54 Bundes- oder Landesbedienstete, das sind 29,5% aller Abgeordneten (im Bundesrat rekurrieren sich sogar 38,7% aus dieser Berufsgruppe) und damit überproportional viele, da lediglich 12,8% aller in Österreich Vollzeitbeschäftigten im öffentlichen Dienst tätig sind. Weitere stark repräsentierte Berufsgruppen sind die Berufspolitiker und die Funktionäre von Interessensvertretungen wie Kammern und Gewerkschaften (24,6% in Nationalrat, 16,7% im Bundesrat) sowie die Freiberufler mit 11,5% (lediglich 3,2% im Bundesrat) und die Bauern mit 8,2% im Nationalrat (8,1% im Bundesrat) – ein besonderes Kuriosum, wenn man bedenkt, dass nur noch 2,7% der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind.
Angesichts des Faktums, dass sich unter 183 Abgeordneten zum Nationalrat und 65 Abgeordneten zum Bundesrat lediglich vier Arbeiter finden – zwei im Nationalrat, zwei im Bundesrat -, bedarf es wohl keiner profunden volkswirtschaftlichen Expertise mehr, um Michael Saugas’ These, wonach das „Sozialsystem von schlecht bis mittel verdienenden Arbeitnehmern finanziert“ wird, für plausibel zu halten.